Castell’in Villa, im südlichen Classico nahe Castelnuovo Berardenga gelegen, ist eines der bekanntesten Adelsgüter der Toskana. Die historischen Wurzeln des weilerartigen Anwesens reichen bis ins frühe Mittelalter zurück. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die trutzige Burg in eine Landvilla des Adels umgebaut, später in ein Jagdhaus. Weingut war sie eigentlich nie. Das änderte sich 1967, als der römische Diplomat Prinz Riccardo Pignatelli den Besitz erwarb. Er liess Weinberge anlegen und sich von Antinoris legendärem Önologen Giacomo Tachis beraten.
Seit seinem Tod 1990 leitet seine Witwe Coralia, eine gebürtige Griechin, das Gut. La Principessa, wie Coralia liebevoll genannt wird, setzt dabei wie ihr verstorbener Mann auf Tradition: Im südlichen Chianti Classico, werden besonders üppige Rotweine gekeltert. Und wie kein anderes Gut hat sich Castell’in Villa den Ruf erworben, besonders langlebige Weine, aber auch traditionelle Chiantis hervorzubringen.
Wein ist nicht nur ein Getränk. Nein, mit Wein verbindet man auch Emotionen oder besondere Ereignisse oder am besten beides zusammen. Die Weine von Castell´in Villa, nahe Castelnuovo Berardenga, sind schon seit Jahren meine Lieblings-Chianti´s. Fernab jeder Modewelle repräsentieren die Weine alles, was man von einem typischen Chianti Classico erwartet.
Frische, Frucht und Säure im Einklang, Trinkigkeit. Kein hochgezüchtetes Edelnüttchen mit viel Schminke und Vordergründigkeit. Bodenständig, ehrlich, immer animierend im Trinkfluß. Kein großer Wein, aber ein Wein mit Größe und Identität zum Sangiovese und zur Heimat.
Und: sie können beachtlich reifen. Wie der über 3(!!) Tage getrunkene 90er eindrucksvoll demonstrierte. Am ersten Tag noch widerspenstig mit strengen Tanninen, die sich über die nächsten Tage wunderbar intergrierten. Reife, nach Schattenmorellen duftende Nase, klassische, transparente Farbe, zupackende, nicht aggressive Säure. Alleine getrunken ganz ok, aber selbst nur zu einem schnöden Salamibrot machte der Wein Freudensprünge, als wolle er sagen: danke für die Begleitung, dass habe ich jetzt benötigt. Und im Geiste lief wieder der Film der Emotion ab, den wir im Oktober 2002 vor Ort erlebten.
Oktober 2002:
Ein ganz besonderes Erlebnis kamen meiner Barbara und mir im Restaurant des Weingutes Castell´in Villa in der Nähe von Castelnuovo Berardenga zuteil. Das Restaurant hat nur gegen Voranmeldung geöffnet und so fuhren wir tags zuvor dorthin, um uns das Anwesen anzuschauen und trafen in der Administration eine gutaussehende, auch deutschsprechende Dame mit ihren beiden wunderschönen ungarischen Hunden. Bei ihr reservierten wir eine Tisch für den kommenden Abend.
So machten wir uns dann am kommenden Abend auf einer Hoppelpiste gen Castell´in Villa. Oben angekommen war alles stockdunkel. Der Weg zum Restaurant war uns nicht fremd, aber wieder alles stockdunkel. Nur nebenan werkelte ein Koch in seiner Küche. Wir also zu ihm hin, ihm unsere Reservierung für heute abend vortragend. Er sichtlich überrascht, wüsste nichts von einer Reservierung, wir sollten doch 10 Minuten warten. Gesagt getan, und nach 10 Minuten schloss er uns das Restaurant auf, drehte Licht, Heizung und etwas Musik an und lies uns einen Platz aussuchen. Er verschwand dann kurz in der Küche, um uns kurz darauf mitzuteilen, das wir heute abend nur mit ihm Vorlieb nehmen müssten, denn vom Servicepersonal wäre heute keiner da, ebenso bestünde heute die Küchenbrigade nur aus ihm. Da ist wohl ein Fehler in der Kommunikation aufgetreten, aber es sollte der seit langem gelungeste Abend werden, der uns beiden, die wir schon seit 18 Jahren zusammen sind, widerfahren sollte. (heute, 2006 sind wir übrigens verheiratet:-)
Wir hatten also den ganzen Abend ein ganzes Restaurant nur für uns alleine!!
Grund des Restaurant-Besuches waren eigentlich die sehr traditionell hergestellten Weine. Ich kannte bis dato nur den 90er Chianti Classico Riserva, für lächerliches Geld ersteigert, und so wollte ich im Restaurant noch weitere Weine kennenlernen,was dort auch möglich ist,denn einige Weine können auch glasweise genossen werden.
Ich entschied mich aber für eine Flasche 1986er Chianti Classico Riserva,der alles andere als tot wirkte. Viel frische Frucht, Säure und Tannin in Harmonie, elegant, sehr lang. Kurzum, ein Erlebnis. Übrigens war der 86er nicht der älteste, es gab noch 77er+71er, auch noch für vergleichsweise wenig Geld erwerbbar.
Zurück zum Koch: nachdem wir unsere 4-Gang Bestellung durchgegeben hatten, in seinem Gesicht den Ansatz einer leichten Verzweiflung erahnen konnten (er war ja schlieslich alleine) bot ich ihm als ehemaliger Kollege noch meine Hilfe an, die er aber dankend ablehnte. “Schliesslich sind Sie ja die Gäste”, meinte er. So gab es dann wunderbare Gerichte, auf den Punkt gebraten und perfekt gewürzt,toll angerichtet, alles in sich stimmig, kurzum traditionell verfeinerte Sterneküche, höchstes Niveau.
Antipasti:
diverse selbstgebackene Brotsorten, fritierte Pasta
Primi
Maltagliate mit Spinat und kleinen Tomätchen
Tagliolini mit Kichererbsen-Minz-Soße
Secondi:
Lammfilet mit Auberginenflan, Paprikatratatouille und Steinpilzen
Tagliata vom Kalb mit dreierlei Paprikamus, Paprikaratatouille und Steinpilzen
Dessert:
Mousse von Corbezzolo
Creme Caramel
Torta die Ficchi
Mini-Cantuccini
Als Dessertwein den traditionellen Vin Santo; oxidativer Stil, Struktur, Eleganz, Länge, aber zu jung.
Der Koch – Massimo di Fulvio – hat Jahre in Frankreich, Kalifornien und Australien verbracht, er kochte aber auch im Arnolfo in Colle Val d´Elsa. Das Restaurant ist im Winter bis April geschlossen, so das er wieder auf Reisen gehen kann, diesmal nach Neuseeland, wie er uns erzählte. Ihm hat dieser Abend auch sehr viel Spass gemacht, für ihn war es auch eine Premiere.
Kulinarisch gesehen war das mit das Beste,was ich in unserem 10.Toskana Urlaub bisher mitgemacht habe, getoppt nur noch von der Bottega del 30 in Villa a Sesta, wo die begnadete Köchin Helen zaubert und ihr Franco das Lokal zu seiner Bühne erklärt.