Weinverkostung
Fachsimpeln in 140 Zeichen: Freunde des Rebsaftes treffen sich zum Testen bei Twitter
erstellt 18.01.10, 09:58h, aktualisiert 18.01.10, 12:01h
Eine junge Frau kostet ein Glas Rotwein während einer Online-Weinverkostung über die Webseite Twitter (FOTO: DPA)
Leipzig/Dresden/dpa. Wie viele Worte darf ein Weinliebhaber machen, um sein Urteil über einen edlen Tropfen zu fällen? Nicht viele – jedenfalls wenn er seine Meinung bei einer Twitter- Weinverkostung kundtun will. Maximal 140 Zeichen darf ein Beitrag dort lang sein. Weinfreunde schreckt diese extreme Begrenzung nicht, im Gegenteil: Seit einiger Zeit verabreden sich regelmäßig Menschen aus allen Ecken der Bundesrepublik, zeitgleich den gleichen Wein zu kosten – und sich dann bei Twitter darüber auszutauschen. «Das macht einfach Mega-Spaß», sagt Simon Atzei (34), Organisator der Internet- Weinverkostung, im Twitter-Slang #twv genannt.
«3-2-1-0 Peng: hiermit eröffne ich die 4. #twv, wer beginnt??», tippt Weinhändler Bernd Klingenbrunn an einem Abend kurz vor halb neun in seine Tastatur. Sofort twittert («zwitschert») die Fan- Gemeinde los: «Schöne hellgelbe Farbe und eine erste Überraschung in der Nase!», urteilt einer über den Riesling aus dem Rheingau. Alle Teilnehmer haben den Wein zuvor bei Klingenbrunn gekauft, der eigens für die Twitterer ein Probierpaket mit einem weißen und einem roten Wein zusammengestellt hat. «Schraub schraub schraub», meldet sich der nächste, denn der Wein hat keinen Korken.
«Die Idee der Online-Verkostungen ist nicht so neu», sagt Atzei. Immer mal wieder habe es einzelne Aktionen gegeben. Neu ist aber, dass die Twitter-Weinverkostungen jetzt regelmäßig stattfinden. Atzei hat die Koordination in die Hand genommen und die Regeln aufgestellt: Weinhändler oder Winzer, die im Internet unterwegs sind, sollen ein Paket mit zwei Weinen zusammenstellen. Wer mag, bestellt das Paket. Kostenpunkt: höchstens 20 Euro, inklusive Lieferung. Danach wird ein Termin zur Verkostung bestimmt. Mitmachen kann jeder – egal ob Profi oder Laie.
«Wir hatten bisher immer ungefähr 15 bis 20 Mittrinker», berichtet Atzei, im «richtigen Leben» Betriebswirt und Familienvater. Nicht jeder, der das Paket bestellt habe, traue sich dann auch tatsächlich, via Twitter mitzudiskutieren. «Viele lesen auch einfach nur mit.» Verkostet wurde schon so allerlei: Pinot Grigio, Rotwein aus der Toskana, Bioweine. Ob auch Weine vom Discounter mal Thema werden könnten? Atzei ist bei Massenware skeptisch. Ein «gewisser Anspruch» sei bei den Twitterern schon vorhanden.
Lutz Heimrich hat sich als Weinhändler an einer der ersten Twitter-Proben beteiligt. «Ich fand die Idee total witzig», sagt der 45-Jährige, der in Dresden einen großen Online-Handel betreibt. Einen echten wirtschaftlichen Nutzen habe er nicht davon gehabt; dafür seien die verkauften Mengen einfach zu klein. «Es hat uns vielleicht ein bisschen Reputation gebracht.» In Deutschland sei die Twitter- Nutzung einfach noch nicht so verbreitet wie in den USA. Dort nutze etwa ein großer Computer-Hersteller seine Twitter-Fan-Gemeinde, um eigens zusammengestellte Geräte an den Mann zu bringen. Trotzdem, sagt Heimrich, würde er sofort wieder eine Twitter-Weinprobe machen.
Dass die Kombination Wein, Internet und Twitter in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen könnte, glaubt auch Frank Schulz, Sprecher des Deutschen Weininstituts in Mainz: «Das ist ein wirklich spannendes Thema, weil sich da unheimlich viel tut.» Aus Kontakten in die USA wisse er, dass Twitter-Tastings dort schon deutlich größere Dimensionen haben. «Wenn da ein Wein gut bewertet wird, dann wirkt sich das auf den Handel aus.»
Der #twv-Organisator Simon Atzei hat weniger den kommerziellen Aspekt im Blick. Er ist nach eigenem Bekunden «rein privater Weinliebhaber». Atzei nimmt auch an realen Weinproben teil, die seien allerdings manchmal etwas gezwungener, und auch der Aufwand sei größer als bei den Twitter-Weinverkostungen. Auf 200 bis 300 Leute schätzt er die Online-Wein-Blogger-Szene in Deutschland. Gleichgesinnte an einem Ort zu versammeln sei schwierig, #twv insofern perfekt, sagt der 34-Jährige.
Birgit Zimmermann, dpa