Kopfschmerzen und Wein: böser Bube Schwefel ?

Schwefel im Wein –  Mehr Geschmack wagen

Schwefel im Wein verursacht Kopfschmerzen, heißt es zu Unrecht – aber womöglich ist das Element ein Aromen-Killer

 

Der Schwefel hat es schwer; sein Ruf ist der eines bösen Buben auf der Liste der chemischen Elemente. Alles, was mit Schwefel im Bunde steht, gilt buchstäblich als anrüchig. Sicher hat das schlechte Image auch damit zu tun, das Schwefel kulturhistorisch vorbelastet ist. Am Ende aller Tage wird der Teufel laut biblischer Offenbarung in einen Pfuhl von Feuer und Schwefel geworfen. Nach den Exegesen des heiligen Bonaventura füllt der Gestank von brennendem Schwefel die ganze Hölle. Und aus den Märchen wissen wir, dass der Teufel regelmäßig eine Wolke übelriechenden Schwefels hinter sich herzieht.

Mit solchen Vorgaben gewinnt man keine Freunde, schon gar nicht, wenn es um die Präsenz von Schwefel in Wein geht. “Von geschwefeltem Wein bekommt man Kopfschmerzen”, geschwefelter Wein kann kein guter Wein sein”, “nur die schlechten Winzer schwefeln ihren Wein” – es kursieren viele solcher negativer Zuschreibungen und Gerüchte, die gewiss nicht alle an den Haaren herbeigezogen sind. Aber das Bild ließe sich auch umdrehen, wenn man den Erklärungen des Breisacher Önologen Fermentationstechnologen Carsten Heinemeyer folgt. “Die Wirkungsweisen von Schwefel sind erstens Oxidationsschutz, zweitens mikrobieller Schutz, also der Schutz vor Bakterien und Schimmelpilzen, und drittens hilft er beim Abbinden von Gärnebenprodukten.” So gesehen, wirkt der Schwefel geradezu wie ein Schutzschirm für den Wein.

Um was geht es genau? Um Schwefel in elementarer Form jedenfalls nicht. In dieser Verfassung verströmt er tatsächlich einen ätzenden Geruch. Nein, es hegt um Schwefeldioxid (SO2), das sich in Verbindung mit Flüssigkeit zu schwefeliger Säure (H2SO3) löst. “Wir haben es mit einem biochemischen Reaktionsprodukt zu tun, aber das ist den meisten Menschen gar nicht bewusst”, ergänzt Heinemeyer.

Als Konservierungsmittel im Lebensmittelbereich hat die schwefelige Säure eine lange Tradition – vor allem beim Wein. Denn sie ist wohl das effektivste Mittel, Traubenmost auf dem Weg zum Wein vor starker Oxidation und damit vor einem der schädlichsten Einflüsse zu schützen. Zu schnell läßt der Kontakt mit Sauerstoff frischen Wein in Farbe und Geschmack buchstäblich alt aussehen. Aber nicht nur zu viel Sauerstoff ist unerwünscht, sondern auch die Reaktion mit unverträglichen Mikroorganismen, die das Geschmacksbild des Weines negativ beeinflussen. Junger Wein ist eben ein Sensibelchen, der viel Schutz braucht, um zum Wohle des Verbrauchers zu gedeihen. Und schwefelige Säure leistet die erforderliche Protektion.

Warum ist sie dann so schlecht beleumundet? Es ist wohl das nicht aus der Welt zu schaffende Vorurteil vom Kopfschmerz, der ihr angelastet wird. Fortschrittliche Winzer, die sich intensiv mit den biochemischen Hintergründen ihres Gewerbes auseinandersetzen, arbeiten längst dagegen an. “Man kriegt in der Regel nicht Kopfschmerz von zu viel Schwefel, sondern von zu viel Alkohol”, bringt es Volker Raumland aus Flörsheim in Rheinhessen auf einen volkstümlichen Nenner. Carsten Heinemeyer, der Önologe, differenziert da schon genauer, auch wenn es fast schon provokativ klingt, wenn er sagt: “Es ist eher der Wein, der zu niedrig geschwefelt ist, der Kopfschmerz verursacht.” Heinemeyer verweist auf die Gärnebenprodukte, von denen vor allem Acetaldehyd als die eigentliche Ursache von Kopfschmerzen identifiziert ist. “Acetaldehyd muss abgebunden werden. Und zwar durch die Zugabe von schwefeliger Säure. Erst wenn das nicht geschehe, entstehen Kopfschmerzen. Das kann jeder beim Federweißen erleben, der ja ein reiner, noch gärender Wein ohne Zusatz von SO2 ist. Und Federweißer bedeutet immer hohe Kopfschmerzgefahr.”

 Natürlich, und das räumt auch Heinemeyer ein, ist schwefelige Säure nicht die reine Unschuld. Bei höheren Dosen ist sie als leicht stechender Geruch wahrnehmbar; auch allergische Reaktionen sind möglich, allerdings bei einer Dosierung, wie sie heute im oberen Qualitätsdrittel nicht mehr üblich ist. Das hat auch mit der Änderung der Weinkultur im Ganzen zu tun, bei der sich erst in den vergangenen zwanzig bis dreißig Jahren der Konsum hin zu immer trockeneren Weinen verschoben hat. Restsüße Weine bedürfen wegen des noch vorhandenen Zuckers nämlich mehr schwefeliger Säure. “Zudem hat sich die Kellertechnik stark verbessert. Durch neue Filtrationsmethoden werden Keime sicher abgetrennt”, ergänzt Heinemeyer

Da stellt sich dann die Frage, warum viele Winzer überhaupt an der weiteren Reduktion von Schwefel arbeiten. Volker Raumland aus Rheinhessen etwa, als Sekterzeuger einer der angesehensten im Land, gehört zu ihnen. Auch er verdammt den Schwefel nicht; der gesundheitliche Aspekt war nicht der Grund für seine Experimente. Angefangen hatte alles mit der Grundüberlegung, ob die bei höherwertigen Weinen landläufig gültige Standardmenge von 50 mg freier schwefeliger Säure als Oxidationsschutz ein unumstößliches Gesetz ist. Raumland stellte bald fest, das er diese Dosis locker unterschreiten kann, ohne dabei größere Risiken einzugehen.  “Dann habe ich gemerkt, das es sich eigentlich genau umgekehrt verhält, das meine Weine und Sekte nämlich negativ reagierten, wenn wir sie mit der klassischen Menge SO2 ausstatteten. Sie wurden in ihrer Entwicklung blockiert oder zurückgeworfen”

Raumland spricht von Aromastoffen und dem Bouquet, die er durch zu hohe SO2-Mengen als maskiert oder in ihrer Entfaltung blockiert empfindet. So hat er festgestellt, das maximale Sorgfalt bei der Behandlung der Trauben von der Ernte an auf ganz natürliche Weise hilft, SO2 zu sparen. Handlese, Aussortieren angefaulter Trauben sowie schnelle Verarbeitung sind für ihn gleichbedeutend mit einem geringeren Bedarf an schwefeliger Säure. Auch sind eine langsam Gärung unter Vermeidung von Sauerstoffeinfluss sowie der biologische Säureabbau hilfreich, weil beim Umbau der Apfel- in Milchsäure auf natürliche Weise größerer Mengen Acetaldehyd abgebunden werden.

Viele seiner Kollegen hätten diese Chance aber noch gar nicht erkannt, gibt Raumland zu bedenken. Er muss es wissen, denn in seinem Nebenjob als Lohnversekter wandelt er auch die Grundweine anderer Winzer in Schaumwein um. “Ich bin aufgrund der angelieferten Grundweine dann häufig gezwungen, dass Doppelte und Dreifache an SO2 zuzugeben,  als ich selbst verwende. Wenn die Kollegen dann auf dem Papier lesen, dass ich mit so wenig auskomme, sagen sie oft: “Der Raumland hat nicht genug geschwefelt”. Daran merkt man, wie statisch das Denken über SO2 immer noch ist”. 

Ein Geistesverwandter von Raumland ist Stephane Tissot, der in der Nähe der Jura-Weinkapitale Arbois die “Domaine Andre Tissot” bewirtschaftet. Weit über das Jura hinaus gilt er als einer der großen Querdenker im Land, auch, weil er einige Cuvées gänzlich ohne Schwefelzusatz vinifiziert. Und zwar mit dem Ziel, eine längere alkoholische Gärung in Gang zu setzen, für die er ausgerechnet das sucht, was die meisten anderen Winzer vermeiden wollen, nämlich eine Vielzahl aktiver Hefen. “Es gibt viele Hefen, die den Schwefel nicht vertragen. Wenn sie darauf verzichten, entsteht viel mehr Konkurrenz unter den Hefen, und die Gärung dauert sehr viel länger”
Eine längere Gärung kann deshalb sinnvoll sein, weil sie dem Most mehr Inhaltsstoffe entzieht. “Ich bin sicher, dass meine Weine deshalb besonders komplex sind” In der Tat: Was Tissot aus der allgemein wenig geschätzten Rebsorte Poulsard an Substanz, Tiefe und geschmacklicher Länge herausholt, ist beachtlich.

Damit ist ein anderer wichtiger Punkt. Es kommt nämlich nicht zuletzt auch auf die Rebsorte an, weil es Trauben gibt, die sehr sauerstoffaktiv sind, und solche, die einen natürlichen Sauerstoffpuffer haben – wie eben die Poulsard-Traube. Das gilt auch für die Syrah-Traube, weswegen im Rhône-Tal die schwefellosen Experimente am weitesten fortgeschritten sind. Bei der Edeltraube Pinot Noir dagegen sind natürliche Grenzen gesetzt. “Pinot Noir”, so bestätigt Carsten  Heinemeyer, “ist extrem oxidationsanfällig. Sie bekommt dann diese Orangetöne, und das Aroma ist schnell verschwunden. Die beliebte Kirschnote, wie sie in Burgund so oft zu finden ist, kommt daher, dass nicht zu knapp mit SO2 dosiert wird.

Aber wie steht es um das Entwicklungspotential SO2-armer Weine? Wie stabil sind sie bei mehrjähriger Lagerung? Stephane Tissot ist der Auffassung, dass seine Poulsards einen langen Atem haben, und prognostiziert mehr als 10-15 Jahre Lebenszeit. Sein Optimismus ist durch einen kleinen Kniff gestützt, der eigentlich schon seit langem bekannt ist: die Flaschen werden vor der Abfüllung mit Kohlensäure gespült, um einen zusätzlichen Schutz vor zu schneller Oxidation zu erhalten. Nur: Benötigt Wein zur Reifung nicht doch auch die Reaktion mit Sauerstoff? Ist nicht immer wieder von der unentbehrlichen Mikrooxidation die Rede, welche hochwertigen Weinen überhaupt erst zu der gewünschten Reifung verhelfe? “Eine kleine Oxidation findet immer statt, die den Wein sich sehr langsam entwickeln läßt” , behauptet Tissot, der seine Weine längst mit dem Vermerk “Ohne Zugabe von Schwefel” auf den Etiketten versieht. Als Werbeeffekt will er das aber nicht gedeutet wissen: “Die Leute, die zu mir kommen, kaufen den Poulsard nicht, weil er ohne SO2 Zugabe ist, sondern wegen des Geschmacks.”

Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 22.2.2009 Artikel von Martin Maria Schwarz

Schwefelgehalt in Weinen:
EU-Richtlinien für den Gesamt-Schwefelgehalt

Weiß- und Roséwein
weniger als 5 g Restzucker 210 mg/l
mehr als 5 g Restzucker 260 mg/l

Rotwein
weniger als 5g Restzucker: 160 mg/l
 mehr als 5g Restzucker: 210 mg/l

Die Schwefelung wird seit Inkrafttreten der Richtlinie 2003/89/EG im November 2005 auf dem Etikett durch den Vermerk “Enthält Sulfite” gekennzeichnet.
Der Schwefelgehalt im Wein wird in “Schwefel total” und “Schwefel frei” angegeben.

“Schwefel total” setzt sich aus freiem, flüchtigem Schwefel und Schwefel, der im Wein gebunden ist, zusammen.
Unter “freiem Schwefel” versteht man die Summe von Schwefeldioxid (SO2), schwefeliger Säure (H2SO3), Hydrogensulfit (HSO3) und Sulfitverbindungen. Bei der gebundenen Form, die ca. 80% im Wein ausmacht, ist die schwefelige Säure an Acetalaldehyd oder Glucose gebunden. Schwefelige Säure wird auch von den Hefen bei der Gärung gebildet, liegt deshalb in allen Weinen in geringen Konzentrationen (bis zu 30 mg SO2/l) obligatorisch vor.